Was verstehe ich unter Ausnahmesituationen?
Für mich entstehen Ausnahmesituationen durch vollkommen unerwartete und lebenseinschneidende Momente. Mein Lebensablauf, -rhythmus ist nun vollkommen verändert, der Weg zu meinem Ziel ist plötzlich gesperrt oder mein Weltbild ist erschüttert.
Das kann auch auf positive Ereignisse zutreffen, jedoch unterscheiden sich die negativen davon, dass sie uns vorübergehend in die Knie zwingen. Dass wir wie erstarrt sind. Geschockt. Erschüttert bis in die tiefsten Wurzeln. Und darum geht es hier.
Ich möchte auch nicht weiter darauf eingehen, warum es Menschen gibt, die scheinbar nichts aus der Bahn wirft. Die maximal ins Straucheln geraten, aber rechtzeitig die Balance wiederfinden und deshalb nicht stürzen. Menschen sind unterschiedlich und Du bist deshalb hier, weil Du die Balance gerade verloren hast. Das ist keine Schwäche. Das ist einfach so. Ich empfinde es als sehr reflektierend, dass Du schaust wie es Dir besser gehen kann. Nur darum geht es.
Was kann uns den Boden unter den Füßen wegreißen?
- Tod eines geliebten Menschen
- Verrat eines Freundes
- Verlust des Arbeitsplatzes / Einkommens
- Kündigung der Wohnung
- Scheidung, Trennung von der Partnerin
- Schwere Erkrankung
- Unfall
- Betrug
- Gewalttaten (Missbrauch, Körperverletzung, Raubüberfall)
Und wahrscheinlich noch einiges mehr. Schreib mir gerne, was Dir den Boden unter den Füßen wegriss.
Allen Ursachen ist gemein, dass wir etwas verlieren: den geliebten Menschen, unser Zuhause, Gesundheit (Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit), Wertgegenstände oder Geld, Sicherheit, Vertrauen.
Hinzu kommt das Bewusstsein, dass wir keine Kontrolle darüber hatten bzw. auch diese verloren haben (inwiefern wir sie jemals hatten, lass ich mal dahingestellt).
Die Schlagzeile in diesem Szenario lautet „Verlust“.
Es ist gerade sehr modern im Coaching, den Leuten zu vermitteln „Du bist für alles, was in Deinem Leben passiert oder passierte selbst verantwortlich!“
Diese Aussage finde ich unverantwortlich!
Wenn ich ein Geschäft mit einem Partner eröffne, der plötzlich nach jahrelanger gemeinsamer Arbeit die Kasse plündert und mich mit Schulden zurücklässt, ist er dafür verantwortlich. Wenn ich am Geldautomaten Geld abhebe und mir einer eine Pistole an den Kopf hält, um mein Geld zu klauen, ist er verantwortlich. Wenn ich an der Ampel stehe und ein Autofahrer verliert die Kontrolle über sein Fahrzeug, so dass es zum Unfall kommt. Ist er verantwortlich. Und vor allem wenn Menschen missbraucht werden, ist der Täter verantwortlich!
Jeder Coach möchte doch bitte diese verallgemeinernde Aussage überdenken, bevor er sie auf seinen Klienten loslässt!
Leider hat das Wort „Opfer“ inzwischen einen sehr negativen Touch erhalten; es wird inflationär verwendet und besonders als Synonym für schwache Menschen gebraucht. Nichtsdestotrotz sind wir hin und wieder Opfer in Ausnahmesituationen. Das hat nichts mit Schwäche zu tun. Es ist andererseits auch kein Freibrief, sich zurückzulehnen, zu jammern und nichts zu tun „schließlich bin ich ja ein Opfer“.
Opfer werden wir, wenn wir die Kontrolle über eine Situation komplett abgeben müssen. Ein Artikel über Kontrolle findest Du hier.
Was wir jetzt also tun ist, die Situation zu akzeptieren und nach einer Möglichkeit zu suchen, wie wir damit umgehen. Der deutsche Begriff „Verantwortung“ ist für mich hier falsch verwendet. Die englische Version mit seinen lateinischem Ursprung „Responsability“ sagt das viel deutlicher aus: „die Fähigkeit zu antworten“.
Was ich mir wünsche, ist, dass Du in Deiner Ausnahmesituation wieder handlungsfähig wirst. Dass Du Dich dem Kontrollverlust, der Dich in eine Art Ohnmacht versetzte, entgegenstellst und Deine „Fähigkeit“ findest, „darauf zu antworten“. Und somit das Opfer in Dir hinter Dich lassen kannst.
Noch eine wichtige Sache:
Achte auf Deine Worte!
Viele sagen „ich bin am Boden zerstört!“. Das ist eine sehr ungünstige Ausgangslage. Es reicht wenn Du „am Boden bist“. Dann kannst Du nämlich wieder aufstehen. Du brauchst vielleicht jemanden, der Dir hochhilft, aber Du bist nicht zerstört und kannst (irgendwann wieder) aufstehen!